Das Gold als Wertmesser, als Zahlungsmittel und als Kapital.

 

Von U. v. Beckerath, Berlin.

 

 

 

1. Das Gold als Wertemesser.

 

Es besteht jetzt ziemlich allgemein die Meinung, dass die Goldwaehrung versagt habe. Man hoert und liest oft: "Vor dem Kriege wurde alles bestaendig teurer und jetzt wird immer alles billiger! Wir brauchen eine stabile Waehrung!" Um aber darueber urteilen zu koennen, ob die Goldwaehrung stabil ist oder nicht, darf man sich nicht auf die Erfahrung weniger Jahre beschraenken. Auch darf man nicht die Preise von nur wenigen Artikeln beobachten. Und wenn man alles Material beisammen hat, so muss man es nach der richtigen Methode verarbeiten.

 

Zunaechst soll einmal die Behauptung geprueft werden ob wirklich vor dem Kriege alles bestaendig teurer wurde. Das Material zu einer solchen Pruefung ist vorhanden. Das Statistische Reichsamt hat Grosshandelsindexzahlen fuer die ganze Vorkriegszeit von 1651 an berechnet und im Sonderheft l von „Wirtschaft u. Statistik" veroeffentlicht. Diese Indexzahlen sind in der folgenden „Tabelle l" unter B abgedruckt. Man findet ein bestaendiges Auf und Ab, und mancher wird mit Ueberraschung feststellen, dass die Preise in der Vorkriegszeit und erst recht in der „guten" alten Zeit alles andere als stabil waren. Von 1651 bis 1655 (einem Jahr furchtbarer Missernten, schwerer Epidemien und solcher Winterkaelte, dass in England nach Darwin etwa 4/5 aller Voegel erfroren) stiegen die Preise im Durchschnitt von 77,0 auf 109,8, also um 43%! Von 1873 bis 1886 aber sanken die Preise im Durchschnitt von 119 auf 69,2. d. h. um 42%. Aber i.J. 1872 litten Deutschland und die ganze Welt ebenfalls unter sehr schweren Missernten und dadurch bewirkter Teuerung. In den folgenden Jahren aber hatte Deutschland ein paar gute Ernten, und es fand in sehr vieler Beziehung ein technischer Fortschritt statt, welcher Preissenkungen ermoeglichte, so dass man nicht ohne weiteres die Goldwaehrung fuer die Preisverschiebungen verantwortlich machen kann. Seit dem Kriege sind dann im Grossen und Ganzen die Preise stabiler gewesen als in der Vorkriegszeit, was spaeter noch dargelegt werden Soll.

Wenn man die Reihe der Indexzahlen von 1851 bis 1913 betrachtet, so kommt man natuerlich zunaechst in Zweifel, ob im Durchschnitt die Preise in diesen 63 Jahren gestiegen oder gefallen sind. Tatsachlich ist es auch gar nicht so einfach, die Tendenz einer solchen statistischen Reihe (oder wie viele sagen: den Trend) festzustellen. Ohne einige Rechnerei geht es dabei nicht ab. Wie man eine solche Rechnung durchfuehrt, werden aber die meisten nicht wissen, deshalb soll hier einmal die Rechnung so ausfuehrlich dargelegt werden, dass jeder aufmerksame Leser aehnliche Rechnungen nach diesem Beispiel selbst machen kann.       Zunaechst muss man feststellen, welches Jahr in der Mitte steht. Man findet, dass das Jahr 1882 vom ersten und vom letzten Jahr der Statistik je 31 Jahre entfernt ist. Dann versieht man jedes Jahr mit einer Ordnungsnummer, entsprechend dem Abstand von 1882. Die Ordnungsnummern stehen in der folgenden Tabelle l unter C. Dann multipliziert man jede Indexzahl mit ihrer Ordnungsnummer. Die Produkte finden sich in der Spalte D der Tabelle l. Hierauf addiert man die letzten 31 Produkte fuer sich und die ersten 31 Produkte fuer sich. Die beiden Summen zieht man voneinander ab, so wie es die Tabelle zeigt. Es ergibt sich, dass die Differenz negativ ist, naemlich minus 4018,7. Was heisst das? Es heisst: Im Durchschnitt sind die Preise von 1851 bis 1913 nicht gestiegen, sondern gesunken! Um wie viel sind aber die Preise im Durchschnitt gesunken? Um das festzustellen, muss man die Zahl 4018,7 teilen durch

 

(62 x 63 x 64) : 12 = 20823.

 

Es ergibt sich 0,1929. Um soviel sind also die Preise im Durchschnitt jaehrlich gesunken. Weshalb man gerade mit 62 x 63 x 64 : 12 rechnen muss, soll hier, wo es nur auf die praktische Berechnung ankommt, nicht dargelegt werden. Es genuegt hier die Bemerkung, dass, wenn man mit x Statistikjahren zu tun hat, man die Zahl

 

[(X-1) x X x (X+1)] : 12

 

nehmen muss. Bei 10 Jahren z. B.

 

(9 x 10 x 11) : 12 = 165 : 2 = 82,5.

 

Wenn man alle 63 Indexzahlen addiert, so erhaelt man 5691,3, und wenn man diese Zahl durch 63 teilt, so ergibt sich 90,338. Letzteres ist also der durchschnittliche Preisstand waehrend der 63 Jahre gewesen. Da sich nun der Preisstand durchschnittlich im Jahr um 0,1929 gesenkt hat, so muss man, um die einer gleichmaessigen Senkung entsprechende Indexzahl des Jahres 1851 zu finden, 31 X 0,1929 = 5,980 zur durchschnittlichen Indexzahl 90,338 hinzulegen und erhaelt

 

90,338 + 5,980 = 96,318.

 

Entsprechend waere i.J. 1913 bei gleichmaessiger Senkung der Preise eine Indexzahl von

 

90,338 - 5,980 = 84,358

 

erreicht worden. In der Spalte E ist eine aehnliche Rechnung fuer jedes Jahr ausgefuehrt, so dass man erkennen kann, wie die Preissenkung sich bei gleichmaessigem Verlauf ausgewirkt haben wuerde. In der Spalte F ist dann noch der Unterschied jeder „ausgeglichenen" Indexzahl gegenueber der wirklichen angegeben. Die Summe der Unterschiede „nach oben" ist 282,9, und die Summe der Unterschiede „nach unten" ist ebenso gross, wie es ja auch sein muss.

 

Um die Rechnung zu kontrollieren und gleichzeitig eine noch deutlichere Einsicht in den Verlauf der Tendenz zu gewinnen, kann man nun noch - wie in Tabelle II geschehen - die Indexzahlen so nebeneinander schreiben, dass die Zahl fuer 1881 neben der fuer 1883 steht, die fuer 1880 neben der fuer 1884 etc., und die fuer 1851 neben der fuer 1913. Bildet man die Unterschiede, so erkennt man, dass nur in 5 Faellen die Indexzahl des Vergleichs-Jahres im ersten Zeitabschnitt von 1851 bis 1882 niedriger stand, als im entsprechenden Jahre des zweiten Abschnittes, in allen aendern Fallen stand die entsprechende Indexzahl des zweiten Zeitabschnittes niedriger.  Multipliziert man die Unterschiede mit den Ordnungsnummern der Indexzahlen, so muss die Summe der Produkte natuerlich wieder -4018,7 ergeben, was auch der Fall ist. Die Rechnung war also richtig. Es folgen nun die Tabellen:

 

Tabelle I.

 

 

Groß-

 

 

 

Unterschied zw.

 

 

Handels-

Ordnungs-

Produkt

Ausge-

zw. der be-

 

Beob-

Indexzahl

nummer

aus Index-

glichene

obachteten

 

achtungs-

In d. unter

gezählt vom

Zahl und

Index-

und der aus-

 

jahr

A angege-

mittleren

Ordnungs-

zahl

geglichenen

 

 

benem Jahr

Jahr 1882 ab

nummer

 

Indexzahl

 

A

B

C

D

E

F

 

1851

77,0

-31

-2387,0

96,3

19,3

 

 

52

79,7

-30

-2391,0

96,1

16,4

 

 

53

93,4

-29

-2708,6

95,9

2,5

 

 

54

109,8

-28

-3074,4

95,7

-14,1

 

 

55

109,9

-27

-2967,3

95,5

-14,4

 

 

56

109,9

-26

-2857,4

95,4

-14,5

 

 

57

99,5

-25

-2487,5

95,2

-4,3

 

 

58

84,2

-24

-2020,8

95,0

10,8

 

 

59

86,0

-23

-1978,0

94,8

8,8

 

 

60

94,2

-22

-2072,4

94,6

0,4

 

 

61

95,8

-21

-2011,8

94,4

-1,4

 

 

62

91,4

-20

-1828,0

94,2

2,8

 

 

63

89,3

-19

-1696,7

94,0

4,7

 

 

64

90,2

-18

-1623,6

93,8

3,6

 

 

65

91,1

-17

-1548,7

93,6

2,5

 

 

66

95,9

-16

-1534,4

93,4

-2,5

 

 

67

104,5

-15

-1567,5

93,2

-11,3

 

 

68

102,9

-14

-1440,6

93,0

-9,9

 

 

69

97,8

-13

-1271,4

92,8

-5,0

 

 

70

91,7

-12

-1100,4

92,7

1,0

 

 

71

98,9

-11

-1087,9

92,5

-6,4

 

 

72

110,3

-10

-1103,0

92,3

-18,0

 

 

73

119,0

-9

-1071,0

92,1

-26,9

 

 

74

112,5

-8

-900,0

91,9

-20,6

 

 

75

103,6

-7

-725,2

91,7

-11,9

 

 

76

101,0

-6

-606,0

91,5

-9,5

 

 

77

102,8

-5

-514,0

91,3

-11,5

 

 

78

93,4

-4

-373,6

91,1

-2,3

 

 

79

83,2

-3

-249,6

90,9

7,7

 

 

80

94,0

-2

-188,0

90,7

-3,3

 

 

81

90,2

-1

-90,2

90,5

0,3

 

 

82

85,5

0

0,0

90,3

4,8

 

 

83

84,8

1

84,8

90,1

5,3

 

 

84

77,7

2

155,4

90,0

12,3

 

 

85

73,6

3

220,8

89,8

16,2

 

 

86

69,2

4

276,8

89,6

20,4

 

 

87

70,1

5

350,5

89,4

19,3

 

 

88

76,1

6

456,6

89,2

13,1

 

 

89

83,9

7

587,3

89,0

5,1

 

 

90

89,1

8

712,8

88,8

-0,3

 

 

91

95,0

9

855,0

88,6

-6,4

 

 

92

83,8

10

838,0

88,4

4,6

 

 

93

77,0

11

847,0

88,2

11,2

 

 

94

72,2

12

866,4

88,0

15,8

 

 

95

70,5

13

916,5

87,8

17,3

 

 

96

70,9

14

992,6

87,6

16,7

 

 

97

77,1

15

1156,5

87,4

10,3

 

 

98

81,9

16

1310,4

87,3

5,4

 

 

99

82,2

17

1397,4

87,1

4,9

 

 

1900

87,3

18

1571,4

86,9

-0,4

 

 

1

81,8

19

1554,2

86,7

4,9

 

 

2

81,0

20

1620,0

86,5

5,5

 

 

3

80,3

21

1686,3

86,3

6,0

 

 

4

83,1

22

1828,2

86,1

3,0

 

 

5

86,1

23

1980,3

85,9

-0,2

 

 

6

87,7

24

2104,8

85,7

-2,0

 

 

7

98,3

25

2457,5

85,5

-12,8

 

 

8

93,1

26

2420,6

85,3

-7,8

 

 

9

93,2

27

2516,4

85,1

-8,1

 

 

10

90,5

28

2534,0

84,9

-5,6

 

 

11

97,2

29

2818,8

84,7

-12,5

 

 

12

108,0

30

3240,0

84,6

-23,4

 

 

13

100,0

31

3100,0

84,4

-15,6

 

 

 

5691,3

 

-4018,7

 

 

 

 

 

 

Tabelle 1a.

 

12 : (62 x 63 x 64) = (1 : 20832)

 

(-4018,7 : 20832) = -0,1929

 

(5691,3 : 63) = 90,338

 

90,338 + (31 x 0,1929) = 96,318

 

90,338 - (31 x 0,1929) = 84,358

 

 

 

 

Tabelle II.

 

 

 

 

Im Durchschnitt ist in jedem Jahr der Preisstand gegenueber dem Vorjahr um 2,1 ‰ gesunken. Die Senkung ist gering. Vielleicht wuerde eine andere Methode« die Indexzahlen zu berechnen, einen anderen Promillesatz ergeben haben, vielleicht sogar eine voellige Stabilitaet.

      Die Geringfuegigkeit der durchschnittlichen Preisveraenderung in 63 Jahren ist erstaunlich. Trotz vieler Kriege, Missernten, Jahren sehr reichlicher Ernten, trotz Spekulation, Krisen. Streiks, technischer Fortschritte und Misserfolge, Bankenzusammenbrueche und grossen Aufschwungs auf anderer Seite hat im Grossen und Ganzen die Goldwaehrung, insofern das Gold als Wertmesser in Frage kommt, offenbar nicht versagt, sondern gehalten, was man sich von ihr versprochen hat. Ob auch in Zukunft das Gold noch als Wertmesser geeignet sein wird das weiss man natuerlich nicht, es besteht aber vorlaeufig kein Grund. es zu bezweifeln.

      Dass die Goldwaehrung auch gegenueber grossen Schwankungen der Goldproduktion nicht sehr empfindlich ist, beweist nicht nur die vorstehende Berechnung, sondern auch gerade die Statistik der Goldproduktion. Nachstehend eine Aufstellung darueber, welche dem Statistischen Jahrbuch fuer das Deutsche Reich fuer 1931 entnommen ist. Die letzten Zahlen sind gegenueber frueheren Angaben des Jahrbuchs berichtigt.

 

 

Die Goldgewinnung der Welt seit 1493.

 

(Entdeckung Amerikas im Jahre 1492.)

(Statistisches Jahrbuch fuer das Deutsche Reich fuer 1931, Seite 68 des Anhangs)

 

in den      Kilogramm produziert

Jahren      durchschnittlich

jaehrlich

 

1493-1520   5800

1521-1544   7160

1545-1560   8510

1561-1580   6840

1581-1600   7380

1601-1620   8520

1621-1640   8300

1641-1660   8770

1661-1680   9260

1681-1700   10765

1701-1720   12820

1721-1740   19080

1741-1760   24610

1761-1780   20705

1781-1800   17790

1801-1820   14612

1821-1830   14216

1831-1840   20289

1841-1850   54759

1851-1855   199388

1856-1860   201750

1861-1865   185057

1866-1870   195026

1871-1875   173904

1876-1880   172414

1881-1885   154959

1886-1890   169869

1891-1895   245175

1896-1900   387143

1901-1905   485424

1906-1910   652290

1911-1915   692342

1916-1920   589840

1921-1925   542908

1926        601825

1927        604392

1928        614469

1929        606416

1930        636383

 

 

Viele meinten, dass die im Vergleich zu frueher vervielfachte Goldproduktion doch endlich den Wert des Goldes vermindern muesse, aehnlich wie ja auch der Wert des Silbers durch die sehr betraechtlich gesteigerte Silbergewinnung endlich gesunken ist, so dass es als Wahrungsgrundlage ungeeignet erschien. Gerade jetzt erleben wir aber, dass der Wert des Goldes steigt, d.h. die in Gold ausgedrueckten Warenpreise sinken. Die Entwicklung der Grosshandelsindexzahlen seit 1924 war in Deutschland nach Angabe des Statistischen Reichsamts folgende: 

 

      Jahr        Grosshandelsindexzahl

 

      1913              100.0

      1924              137.3

      1925              141.8

      1926              134.4

      1927              137.6

      1928              140.0

      1929              137,2

      1930              124,6

      1931 Januar      115,2

            Februar     114,0

            Maerz       113,9

            April       113,7

            Mai         113,3

            Juni        112,3

            Juli        111,7

            August      110,2

            Sept.       108,6

            Okt.        107,1

            Nov         106,6

 

 

Die Jahre 1924 bis 1929 einschliessl sind, verglichen mit der Periode von 1851 bis 1913, durch relativ sehr stabile Preise ausgezeichnet. Der seitdem erfolgte Ruckgang der Preise ist nicht groesser, als in frueheren Zeiten, ohne dass man deshalb damals an der Wahrungsgrundlage zweifelte.

      Es ist hier ausschliesslich vom Gold als Wertmesser die Rede, nicht aber von seiner Funktion als Zahlungsmittel. Oft werden die beiden Funktionen mit einander verwechselt. Die Verrechnung bietet heute die Moeglichkeit, eine Zahlung in Gold ganz zu vermeiden, auch wenn der Wert der Gueter, die bezahlt werden sollen, in Gold ausgedrueckt ist. Das gilt nicht nur fuer Inlandszahlungen, sondern vor allem auch fuer Zahlungen an das Ausland.

 

Hierueber wird noch ausfuehrlich zu berichten sein.

 

Fortsetzung folgt.

 

 

 

 

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Published also in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 318-321.